0.1 Rechtsgrundlagen der Diözese

1.    Historischer Hintergrund[1]

Württemberg war um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert territorial wesentlich kleiner als heute und ein fast ausschließlich protestantisches Gebiet. Mit Einführung der lutherischen Reformation 1534 war die katholische Kirche faktisch untergegangen und der Protestantismus Staatsreligion geworden. Alle Staatsämter durften nur mit Protestanten besetzt werden. Katholiken konnten nicht einmal das Bürgerrecht erwerben. Protestanten, die katholisch wurden, mussten das Land verlassen. Wer einen katholischen Partner heiratete, musste die protestantische Erziehung seiner Kinder zusichern. Jeglicher katholische Gottesdienst war verboten.

Zwar traten in den Residenzstädten Stuttgart und Ludwigsburg in der Praxis insbesondere unter katholischen Landesherren (1733–1797) gewisse Abmilderungen durch die Ermöglichung von katholischen Hofgottesdiensten oder zumindest privaten katholischen Bethäusern ein; auch erwarb das Herzogtum Württemberg bereits ab 1751 einige katholische Ortschaften käuflich und gestand deren Einwohnern freie Religionsausübung zu. Dennoch änderten sich die Zustände grundlegend erst mit den Umwälzungen, die Napoleon I. (1769–1821) ganz Europa brachte. Lebte vor der durch ihn bewirkten territorialen Neuordnung bei einer Gesamtbevölkerung von 655.000 Menschen nur die verschwindende Minderheit von 5.125 Katholiken in Württemberg – das waren 0,8 % –, waren es danach etwa 400.000 Katholiken bei einer Gesamteinwohnerzahl von 1,25 Millionen, mithin rund ein Drittel der Bevölkerung.[2]

Bereits durch den Frieden von Campo Formio vom 17. Oktober 1797, der den sogenannten Ersten Koalitionskrieg gegen Napoleon I. beendete, und durch den aufgrund des Zweiten Koalitionskrieges nicht zu Ende geführten Rastatter Kongress (1797–1799) war der Rhein als Ostgrenze Frankreichs anerkannt und als Ausgleich eine Säkularisation in Deutschland vereinbart worden. Faktische Bedeutung erhielt dies spätestens, als im Frieden von Lunéville am 9. Februar 1801 Frankreich endgültig die linksrheinischen Gebiete zugesprochen wurden, die es bereits seit 1795 besetzt hielt und 1797 dem Staatsgebiet gesetzlich zugeschlagen hatte. Dadurch verloren mehrere deutsche Fürsten ihre linksrheinischen Besitzungen endgültig, für die der Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 denselben mittels einer Säkularisation sog. „Entschädigungslande“, also Gebiete zum Ausgleich für verlorene Besitzungen, und Entschädigungszahlungen zusprach.

Württemberg hatte linksrheinisch insbesondere die Grafschaft Mömpelgard (Montbéliard) bei Belfort verloren. Schon durch einen Vertrag mit Napoleon I. erreichte Württemberg als Entschädigung hierfür die Zusicherung des Zisterzienserklosters Schöntal, der gefürsteten Propstei Ellwangen, der Benediktiner-Reichsabtei Zwiefalten, des Ritterstiftes Comburg und der Reichsstädte Aalen, Esslingen, Giengen/Brenz, Heilbronn, Reutlingen, Rottweil, Schwäbisch Gmünd, Schwäbisch Hall und Weil der Stadt. Bei den Verhandlungen zur außerordentlichen Reichsdeputation in Regensburg 1802/03 waren durch Übereinkunft zwischen Frankreich und Russland für Württemberg zunächst lediglich die genannten neun Reichsstädte sowie die Propstei Ellwangen und die Abtei Zwiefalten vorgesehen. Durch Verhandlungsgeschick erreichte Württemberg als endgültige Regelung in § 6 Reichsdeputationshauptschluss als darüber hinausgehende Entschädigungslande noch die reichsunmittelbaren Klöster, Stifte bzw. Abteien Comburg, Dürrenmettstetten, Heiligkreuztal, Holzhausen (bei Frankfurt am Main), Margrethausen, Marienberg, Oberstenfeld, Rottenmünster und Schöntal inklusive einer Säkularisation des in den alten wie neuen Ländereien gelegenen Klostergutes. Noch bevor diese Gebiete Württemberg im Reichsdeputationshauptschluss endgültig zugesprochen worden waren, kam es am 9./10. September 1802 zu einer widerstandslosen Besetzung derselben durch württembergische.[3] Die Gebiete erhielten als „Neuwürttemberg“ in Ellwangen eine eigene Regierung. Zu einem vollen Anschluss an das Herzogtum Württemberg kam es nicht, da dies zu einer Inkraftsetzung der landständischen Verfassung auch in den neuen Territorien geführt hätte, was der württembergische Herzog (seit 25. Februar 1803 Kurfürst) vermeiden wollte. Zusammengehalten wurden Neuwürttemberg und das Herzogtum Württemberg nur durch die Person des Regenten.

Nach der Schlacht von Austerlitz, in der Württemberg notgedrungen auf Seiten Frankreichs gegen Österreich gekämpft hatte, bekam Württemberg durch den Staatsvertrag von Brünn bzw. den Pressburger Frieden vom 26. Dezember 1805 weitere katholische, ehemals vorderösterreichische Gebiete zugesprochen, nämlich Ehingen/Donau, Horb/Neckar, Mengen, Munderkingen, Oberndorf/Neckar, Riedlingen, Saulgau, die Grafschaft Hohenberg (mit Rottenburg/Neckar), die Landgrafschaft Nellenburg, die Landvogtei Altdorf sowie Gebiete von Bräunlingen, Triberg und Villingen und die Grafschaft Bonndorf. Die letzteren Territorien trat Württemberg zwar in der Rheinbundakte vom 12. Juli 1806 an Baden ab, erhielt dafür aber von Bayern die Herrschaft Wiesensteig und die Abtei Wiblingen und von Baden die Stadt Biberach und die Deutschordenskommenden Altshausen und Kapfenburg. Dazu kamen Biberach, Lauchheim, Schelklingen und Bad Waldsee, die Landeshoheit über Baindt, Bad Buchau, Gutenzell, Heggbach, Isny (Stadt und Abtei), Obermarchtal, Ochsenhausen, Rot an der Rot, Bad Schussenried, Weingarten und Weißenau sowie Rittergüter wie z. B. Amtzell, Gamerschwang, Hohenrechberg, Kisslegg, Laupheim, Oberdischingen, Risstissen und Schwaigern. Überdies erhielt Württemberg Gebiete mehrerer Fürsten, die noch beim Reichsdeputationshauptschluss ihrerseits Territorien zugesprochen bekommen hatten, darunter die Fürsten von Hohenlohe, von Königsegg-Aulendorf, von Thurn und Taxis, von Truchseß-Waldburg, von Wolfegg und von Windischgrätz.

Bereits 1805 eignete sich Württemberg entsprechend einem eigenmächtigen Befehl Napoleons I. weitere Besitzungen des Deutschen, des Malteser- und des Johanniterordens an, darunter Gundelsheim und Neckarsulm sowie Kommenden in Heilbronn, Rottweil, Schwäbisch Hall u. a.

Beim Ausbruch des sogenannten Fünften Koalitionskrieges zwischen Frankreich und Österreich 1809 besetzte Württemberg das Deutschordensgebiet Bad Mergentheim, das ihm Napoleon I. zugesprochen hatte, und behauptete es später. Durch den Friedensvertrag von Wien vom 14. Oktober 1809 zwischen Frankreich und Österreich und den Pariser Vertrag vom 28. Februar 1810 zwischen Frankreich und Bayern erhielt Württemberg schließlich u. a. Geislingen, Leutkirch, Neresheim, Ravensburg, Söflingen, Tettnang, Ulm und Wangen. Da die reichsunmittelbaren Herrschaften in den neuen Landesteilen sämtlich mediatisiert wurden, war damit ein durchgehendes württembergisches Territorium entsprechend den heutigen Dimensionen entstanden, zumal das Herzogtum Württemberg und Neuwürttemberg anlässlich der Erhebung des Herzogtums Württemberg zum Königreich am 1. Januar 1806 aufgrund des Pressburger Friedens vom 26. Dezember 1805 vereinigt worden waren. In der Folgezeit kam es zu sehr weitgehenden Säkularisationen der klösterlichen Besitzungen in den Entschädigungslanden.

Diese Gebiete hatte Württemberg nicht nur von den verschiedensten Staaten bzw. Fürsten übereignet bekommen; die Situation wurde dadurch verkompliziert, dass in den Ländereien kein katholischer Bischofssitz lag, sondern die Gebiete zu fünf verschiedenen seinerzeitigen Diözesen und der exemten Propstei Ellwangen gehörten. Es handelte sich um 28 Pfarreien in sieben Dekanaten aus der Diözese Augsburg, 490 Pfarreien in 23 Dekanaten aus der Diözese Konstanz, drei Pfarreien in einem Dekanat aus der Diözese Speyer, vier Pfarreien in einem Dekanat aus der Diözese Worms und 65 Pfarreien in fünf Dekanaten aus der Diözese Würzburg. Diese Dekanate wurden in den Jahren 1808–1810 entsprechend den staatlichen Oberämtern von der württembergischen Regierung ohne Mitwissen und Mitwirkung der betroffenen Bischöfe neu eingeteilt. Diese Verhältnisse erschwerten die kirchliche Verwaltung. Zudem bestand in Württemberg wie auch in anderen deutschen Staaten damals das Bestreben, den Einfluss ausländischer Bischöfe zurückzudrängen. Die Errichtung einer exemten Landesdiözese war daher das Ziel. Als Bischofssitz dafür wurden Ellwangen, Rottweil und Weingarten diskutiert. Später wollte man teilweise sogar zwei, wenn nicht drei Diözesen in Württemberg einrichten; Ellwangen oder Weingarten wären Sitz der Erzdiözese geworden.

Die Landesregierung versuchte, auf dem Weg zur Errichtung einer Landesdiözese ein striktes Staatskirchentum durchzusetzen. Bereits ein Entwurf zur Organisation der Verwaltung der neuwürttembergischen Gebiete vom August 1802 sah vor, dass eine der Hauptabteilungen der Landesregierung das „Geistliche Ratskollegium“ sein sollte, als dessen eine Abteilung von dreien das „Geistliche Ratskollegium katholischer Religion“ geplant war. Geleitet werden sollte diese Abteilung vom künftigen Landesbischof, den man lediglich als „Weiher und Salber“[4] für die sakralen Handlungen benötigte. Der Entwurf für das am 18. März 1806 erlassene Organisationsmanifest für das Königreich Württemberg war insofern unverändert. Erst die endgültige Fassung gliederte den Bischof und seine Verwaltung aus der Landesregierung aus. Die entsprechende Abteilung innerhalb der Regierung war nun der „Königlich katholische geistliche Rat“, ab 10. Oktober 1816 „Königlich katholischer Kirchenrat“ genannt.

Erste Pläne für eine Landesdiözese hatte es bereits 1802 gegeben, und die württembergische Regierung hatte auch genaue Vorstellungen von der Person des künftigen Bischofs: Franz Karl Fürst von Hohenlohe-Schillingsfürst (1745–1819), Dekan des Stiftskapitels in Ellwangen, Weihbischof und Domkapitular in Augsburg, Titularbischof von Tempe, der aber später von Rom nicht akzeptiert werden sollte. Eine Gegenbewegung zu den Bestrebungen nach einer Landesdiözese war der Wunsch des deutschen Primas, Kurerzkanzlers und (Erz‑)Bischofs von Konstanz, Worms, Mainz und Regensburg, Carl Theodor von Dalberg (1744–1817), nach einem Reichskonkordat, das aber am Widerstand des Kardinalstaatssekretärs Ercole Consalvi (1757–1824) scheiterte, der ein Verfechter von Landeskonkordaten war.

Noch bevor Klarheit in dieser Konkordatsfrage herrschte, richtete die königlich württembergische Regierung in Ellwangen eine „Ober-Landes-Regierung“ für die Entschädigungslande ein, ohne deren Plazet in nicht rein geistlichen Angelegenheiten keine Akte kirchlicher Verwaltung oder Gerichtsbarkeit gesetzt werden durften. Schon damit waren die bischöflichen Rechte auf einen rudimentären Rest begrenzt, denn zwar gestattete der Staat einerseits die freie Ausübung der bischöflichen Gewalt in rein geistlichen Angelegenheiten und im Religions-Edikt vom 14. Februar 1803 erneut freie Religionsausübung sowie fortdauerndes Eigentum am Kirchengut, aber andererseits war es eben auch der Staat, der definierte, was er für eine rein geistliche Angelegenheit hielt und was er somit dem Bischof zuzugestehen bereit war. Die in der Folge erlassenen Instruktionen für die Landesorganisation vom 19., 21. und 25. Februar 1803 bedeuteten konsequenterweise einen weitgehenden Eingriff in nach heutigem Verständnis rein kirchlicher Angelegenheiten, indem dem Landesherrn diverse Rechte bis hin zur Genehmigungspflicht der Bekanntmachung scholastischer Lehrsätze oder der Abhaltung einer bestimmten Form der Liturgie vorbehalten wurden. Dass es auch eine Aufsicht über die Predigten und eine Genehmigungspflicht von Wahlergebnissen gab, versteht sich angesichts dessen.

1806 wandte sich Papst Pius VII. (1742–1823) an die württembergische Regierung. Bayern hatte um Verhandlungen zwecks Abschluss eines Konkordats gebeten, und die römische Kurie sah es als zweckmäßig an, nach Abschluss dieser Verhandlungen auch mit Württemberg über ein Konkordat zu beraten. Der württembergische König stimmte zu; man einigte sich auf die Form einer Konvention statt eines Konkordats als die einem protestantischen Fürsten angemessenere Art eines Vertrages, wonach der König ein dem Vertragsinhalt entsprechendes Gesetz erlassen sollte und der Papst entsprechende Instruktionen an die Bischöfe. Bei den 1807 in Stuttgart nach dem Scheitern der bayerischen Unterhandlungen begonnenen Verhandlungen konnte man sich in verschiedenen Punkten nicht einigen.

Noch weit entfernt von einem Abschluss der Verhandlungen, brach Nuntius Annibale della Genga (1760–1829) diese ab und reiste nach Paris, weil Napoleon I. verlangt hatte, dass Konkordatsverhandlungen nicht ohne ihn stattfinden durften. Mit ihm fanden solche dann in Paris statt, waren aber ebenso ergebnislos. Daraufhin nahm man von württembergischer Seite 1808 einen neuen Anlauf und schickte den Geistlichen Rat Johann Baptist von Keller (1774–1845), den späteren ersten Rottenburger Bischof, zu direkten Verhandlungen mit Papst Pius VII. nach Rom. Hatte die württembergische Regierung 1807 bei den Verhandlungen zwei exemte Diözesen, Ellwangen und Rottweil, vorgeschlagen, kam nun noch eine zu gründende Erzdiözese Weingarten hinzu. Während die Unterhandlungen gut gediehen, kam Napoleon I. wiederum einem Vertragsschluss zuvor, nahm den Papst gefangen und brachte ihn nach Savona. Da der württembergische König die Einsetzung eines Primas für ganz Deutschland durch Napoleon I. befürchtete, aber nur exemte Bistümer in seinem Reich dulden wollte, versuchte er neue Verhandlungen in Paris durch den Geistlichen Rat von Keller. Zum einen sollte dieser von Paris aus Kontakt zum gefangen genommenen Papst aufnehmen, was allerdings misslang. Zum anderen sprach er mit dem dort beim französischen Nationalkonzil anwesenden Bischof von Dalberg, der sich bereit erklärte, auf seine Rechte bezüglich Württembergs zu verzichten, wenn es dort Diözesen gäbe. Unter diesen stellte sich von Dalberg allerdings ihm unterstellte Suffragane und keine exemten Territorien vor. Gleichzeitig hatte sich auf württembergisches Drängen hin auch der Augsburger Bischof sowie Kurfürst von Trier und Stiftspropst von Ellwangen, Klemens Wenzeslaus (1739–1812), bereit erklärt, auf die württembergischen Gebietsanteile seiner Diözese zu verzichten, sollte ihn der Papst dazu auffordern.

Dazu kam es nicht mehr, bis Bischof Wenzeslaus am 27. Juli 1812 starb, was dem württembergischen König Friedrich I. (1754–1816) nicht ungelegen kam. Er hatte nicht die Absicht, einem Administrator Einfluss auf württembergisches Gebiet zuzugestehen oder noch weitere Verzögerungen bei der Errichtung der angestrebten Landesdiözese hinzunehmen, und gründete in Ellwangen für die württembergischen Teile der Diözese Augsburg eigenmächtig ein Generalvikariat. Ausgangspunkt war die Propstei Ellwangen, die ohne die Augsburger Gebietsteile jedoch zu klein gewesen wäre. Dem Generalvikariat sollte der Augsburger Weihbischof von Hohenlohe-Schillingsfürst vorstehen, wozu die Gebiete von der Diözese Augsburg hätten förmlich abgetrennt werden und der Generalvikar ein entsprechendes Mandat hätte bekommen müssen. Beides hätte nur der Papst gewähren können. Da dieser immer noch gefangen war, wandte man sich an von Dalberg in seiner Eigenschaft als Erzbischof von Regensburg und damit Metropolit von Augsburg. Nach einigen Verzögerungen gewährte dieser die von ihm erbetenen entsprechenden Bevollmächtigungen. Als Ende 1813 der Bistumsverweser von Würzburg, Johann Franz Schenk von Stauffenberg (1734–1813), starb, wurden auch die württembergischen Gebiete der Diözese Würzburg dem Generalvikariat Ellwangen zugeschlagen. Nach der Freilassung des Papstes hieß dieser die Errichtung des Generalvikariates am 21. März 1816 gut, bestätigte die Einsetzung von Hohenlohe-Schillingsfürsts und sanierte dessen inzwischen getätigten Amtshandlungen. Da die Römische Kurie an der Person des Generalvikars dauerhaft zweifelte, war Bedingung für die Bestätigung, dass er einen Koadjutor erhielt. Als solcher wurde der Geistliche Rat von Keller ernannt und anlässlich dessen am 4. August 1816 zum Titularbischof von Evara geweiht.

Nach Erledigung der Bischofssitze von Konstanz, Worms und Speyer durch von Dalbergs Tod am 10. Februar 1817 wurden die württembergischen Anteile auch dieser Diözesen dem Generalvikariat Ellwangen unterstellt, das damals von Ellwangen nach Rottenburg verlegt wurde. Diesem unterstanden damit sämtliche katholischen Gebiete Württembergs. Nach dem Tode Generalvikar von Hohenlohe-Schillingsfürsts am 9. Oktober 1819 trat von Keller dessen Nachfolge an.

Zwar hatte die Römische Kurie 1817 noch einmal versucht, in Konkordatsverhandlungen mit Württemberg einzutreten. Diesen Bemühungen war aber nach den vielen Fehlschlägen erneut kein Erfolg beschieden, zumal Württemberg den Inhalt des mit Bayern abgeschlossenen Konkordats strikt ablehnte.

Bei Verhandlungen der protestantischen Mittelstaaten Baden, Hessen-Darmstadt, Kurhessen und Nassau sowie der freien Stadt Frankfurt unter württembergischem Vorsitz in Frankfurt am Main vom 22. März 1820 bis zum 24. Januar 1821 über das Verhältnis zwischen Staat und Kirche einigte man sich u. a. auf Freiburg im Breisgau als Sitz des Erzbischofs einer gemeinsamen, neu zu gründenden Kirchenprovinz. Das Königreich Württemberg als höchstrangiger Staat legte keinen unbedingten Wert darauf, dass der Sitz des Metropoliten in seinem Territorium zu liegen kam, und Hessen-Darmstadt, das ursprünglich auf dem alten Erzbischofssitz Mainz bestanden hatte, gab nach. Württemberg und Baden ließen angesichts finanzieller Überlegungen auch die ursprünglichen Pläne fallen, in den beiden Staaten mehrere Diözesen zu errichten. Ergebnis der Verhandlungen waren zum einen die sogenannte „Kirchenpragmatik“, die die Grundsätze der Beziehungen zwischen Staat und Kirche enthielt, und zum anderen ein Entwurf für ein „Fundationsinstrument“, das in jedem Staat erlassen werden und die Dotation der jeweiligen bischöflichen Stühle regeln sollte.

Gleichzeitig mit den Frankfurter Verhandlungen liefen auch wieder Gespräche in Rom, die dieses Mal zum wunschgemäßen Erfolg führten, nämlich am 16. August 1821 zur Bulle „Provida solersque“, mit welcher der Papst die oberrheinische Kirchenprovinz samt ihren Diözesen errichtete und umschrieb: Freiburg als Erzdiözese für Baden und Hohenzollern mit den Suffragandiözesen Rottenburg für Württemberg, Mainz für Hessen-Darmstadt sowie, heute nicht mehr der oberrheinischen Kirchenprovinz zugehörig, Limburg für Nassau und die freie Stadt Frankfurt sowie Fulda für Kurhessen. Zugleich wurden die Propstei Ellwangen und die Diözese Konstanz unterdrückt. Von letzterer waren ohnehin nur noch kleine Teile übriggeblieben, nachdem ab 1814 die Schweizer Teile nach und nach den Diözesen Chur, St. Gallen und Basel-Solothurn unterstellt und 1817/18 auch die bayerischen und Vorarlberger Teile abgetrennt worden waren.

Bei neuerlichen Verhandlungen vom 16. Oktober 1821 bis zum 8. Februar 1822 nahmen die deutschen Staaten die Bulle an; gleichwohl ging ihre Umsetzung aufgrund staatlicher Widerstände und Untätigkeit insbesondere hinsichtlich der Dotation der bischöflichen Stühle nur schleppend voran. Auch gab es zunächst unüberbrückbare Differenzen hinsichtlich der Bischofskandidaten. So hatte Württemberg u. a. Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774–1860) und Johann Sebastian Drey (1777–1853) benannt, die vom Papst nicht akzeptiert wurden, der erste aufgrund seiner zuvor vertretenen Kirchenpolitik, der zweite aufgrund der Tatsache, dass er die „Kirchenpragmatik“ akzeptiert hatte, was in den Augen des Papstes ein grundsätzliches Hindernis war. Den deutschen Staaten blieb daher nur, die „Kirchenpragmatik“ für bedeutungslos zu erklären. Am 16. Juni 1825 stellte die römische Kurie zudem ein Ultimatum zur Umsetzung der Bulle „Provida solersque“. Nach erneuten Frankfurter Verhandlungen am 4. Februar 1826 konnten endlich am 11. April 1827 mit der Bulle „Ad dominici gregis custodiam“ Details z. B. bezüglich der Bischofsbestellung geregelt werden.

Am 22. Mai 1827 trafen sich die deutschen Staaten wiederum in Frankfurt, um die neue Situation zu erörtern. Die „Kirchenpragmatik“ wurde ganz aufgegeben, einiges davon in die „Fundationsinstrumente“ integriert, so z. B. in das württembergische vom 14. Mai 1828, worin nochmals Detailfragen geregelt, der Diözese Staatsleistungen im Werte von fast 50.000 Gulden pro Jahr zugestanden, vor allem aber umfangreiche Aufsichtsrechte der Staatsregierung auch in geistlichen Angelegenheiten wie z. B. Visitation des Priesterseminars festgeschrieben wurden. Am 20. Mai 1828 konnte schließlich der erste Rottenburger Bischof Johann Baptist von Keller inthronisiert werden. Der Prozess der Errichtung einer Landesdiözese für Württemberg hatte seinen Abschluss gefunden.

2.    Relevante Dokumente

Die territoriale Umschreibung und finanzielle Ausstattung der Diözese Rottenburg sowie die Größe ihres Domkapitels sind (wie auch für die anderen zur oberrheinischen Kirchenprovinz gehörigen Diözesen) in der Bulle „Provida solersque“ vom 16. August 1821 geregelt, Bestimmungen zur Besetzung der Kanonikate des Domkapitels und des bischöflichen Stuhles finden sich in der Bulle „Ad dominici gregis custodiam“ vom 11. April 1827.

Der Modus zur Besetzung der Kanonikate des Domkapitels – nämlich durch freie Ernennung seitens des Diözesanbischofs abwechselnd nach Anhörung bzw. mit Zustimmung des Domkapitels (Art. 2 Abs. 6 Badisches Konkordat) – ergibt sich heute allerdings aus dem Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Baden vom 12. Oktober 1932, das diesbezüglich aufgrund Artikel 14 des (weiterhin in Geltung stehenden) Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich vom 20. Juli 1933 auch auf die Diözese Rottenburg Anwendung findet. Das gleiche gilt für die Regelungen zur Bestellung eines Diözesanbischofs. Demnach erstellt der Heilige Stuhl eine Liste dreier Kandidaten für die Wahl des Diözesanbischofs. Diese basiert auf regelmäßig von den Bischöfen einer Kirchenprovinz und ggf. auch vom vorherigen Diözesanbischof beim Heiligen Stuhl eingereichten Listen mit geeigneten Kandidaten (can. 377 § 2 CIC), einem entsprechenden Votum des Domkapitels nach Eintritt der Sedisvakanz (can. 377 § 3 CIC) sowie einem vom Apostolischen Nuntius durchgeführten Informativprozess (can. 377 § 3 CIC). Mindestens ein Kandidat auf der Dreierliste muss aufgrund der konkordatären Vereinbarungen Angehöriger der Diözese Rottenburg sein (Art. 3 Abs. 1 Badisches Konkordat i. V. m. Art. 14 Reichskonkordat). Aus dieser Dreierliste wählt das Domkapitel dann frei und geheim einen Kandidaten, den der Papst anschließend zum Diözesanbischof bestellt, soweit nicht seitens der Landesregierung Bedenken allgemein-politischer, nicht aber parteipolitischer Art geltend gemacht wurden (Art. 3 Abs. 1f. Badisches Konkordat).

Aufgrund der historischen Gegebenheiten gibt es im Gebiet der Diözese Rottenburg-Stuttgart – deren Name anlässlich des 150-jährigen Jubiläums der Inthronisation des ersten Diözesanbischofs um den Namen der Landeshauptstadt ergänzt worden war[5] – verschiedene Exklaven der Erzdiözese Freiburg (sowie eine solche der Diözese Mainz, nämlich Bad Wimpfen). Ebenso gibt es umgekehrt Exklaven der Diözese Rottenburg-Stuttgart in der Erzdiözese Freiburg. Eine Bereinigung des Grenzverlaufs zur Erzdiözese Freiburg wäre rechtlich schwierig und nur unter Beteiligung des Landes Baden-Württemberg und des Heiligen Stuhles möglich, sodass darauf bislang verzichtet wurde. Zur Erleichterung der Seelsorge wurde jedoch mit Wirkung vom 1. Januar 2007 eine Jurisdiktionsvereinbarung zur Regelung der Rechtsmaterien in diözesanen Exklaven zwischen dem Erzbischof von Freiburg und dem Bischof von Rottenburg-Stuttgart abgeschlossen, die im Kern besagt, dass die Exklaven – bei unveränderter territorialer Zuordnung – der sie umgebenden Seelsorgeeinheit der jeweils anderen Diözese zur Pastoration eingegliedert werden; auch wird dort das die örtliche Ebene betreffende diözesane Recht der jeweils anderen Diözese in Kraft und dasjenige der eigenen Diözese außer Kraft gesetzt, soweit es dem entgegensteht.

Auch hinsichtlich der finanziellen Ausstattung der Diözese hat es mit Blick auf die Staatsleistungen gegenüber den Gründungsdokumenten Aktualisierungen gegeben durch die Vereinbarung des Landes Baden-Württemberg mit der Erzdiözese Freiburg und mit der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg und dem Erzbischöflichen Ordinariat Freiburg und dem Bischöflichen Ordinariat Rottenburg-Stuttgart über die Berechnungsgrundlage für die Änderung der Höhe der Staatsleistungen sowie die Ergänzende Vereinbarung zur Durchführung von vertraglichen Verpflichtungen des Landes Baden-Württemberg gegenüber den Kirchen. Neben technischen Berechnungsdetails betrifft dies insbesondere eine von einer Neufestsetzung der Höhe der Staatsleistungen ausgehende Dynamisierung derselben, die an die Veränderung der Besoldung einer sog. Eckperson gekoppelt wird; dabei handelt es sich um das erste Beförderungsamt für den höheren nichttechnischen Verwaltungsdienst, mithin die Besoldungsgruppe A 14 der Landesbesoldungsordnung (in Stufe 6, verheiratet, zuzüglich der Zuführung zur Versorgungsrücklage).

Autor: Stefan Ihli, zuletzt aktualisiert am: 01.04.2022.

Fußnoten

[1] Die Darstellung der Diözesangeschichte folgt v. a. August Hagen, Geschichte der Diözese Rottenburg, 3 Bände, Stuttgart 1956–1960; Rudolf Reinhardt, Zur württembergischen Kirchenpolitik im frühen 19. Jahrhundert, oder: Der katholische Landesbischof – Sektionschef im Kultusministerium?, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 11 (1992) 241–249; Ders., Von der Reichskirche zur Oberrheinischen Kirchenprovinz, in: Theologische Quartalschrift 158 (1978) 36–50; August Ludwig Reyscher, Vollständige, historisch und kritisch bearbeitete Sammlung der württembergischen Gesetze. Band 10: Sammlung der württembergischen Kirchen-Geseze, Tübingen 1836, Einleitung, 1–96; Franz Stärk, Die Diözese Rottenburg und ihre Bischöfe 1828–1928. Ein Festbuch zum hundertjährigen Jubiläum der Diözese, Stuttgart 1928; Hubert Wolf, Ein Bistum im Staate Beutelsbach. Zur Formierung der Diözese Rottenburg im 19. Jahrhundert, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 24 (2005) 13–33; Ders., Die „Landesherrliche Verordnung“ vom 30. Januar 1830. Ihre Anwendung im Bistum Rottenburg und in der Oberrheinischen Kirchenprovinz, in: Walter Rödel/Regina Schwerdtfeger (Hg.), Zerfall und Wiederbeginn. Vom Erzbistum zum Bistum Mainz (1792/97–1830). Ein Vergleich. Festschrift für Friedhelm Jürgensmeier, Würzburg 2002, 427–434.

[2] Zu den Zahlen vgl. Dominik Burkard/Erwin Gatz/Paul Kopf, Bistum Rottenburg-Stuttgart (bis 1978: Rottenburg) (Kirchenprovinz Freiburg), in: Erwin Gatz (Hg.), Die Bistümer der deutschsprachigen Länder von der Säkularisation bis zur Gegenwart, Freiburg i. Br. 2005, 616–637, 619.

[3] Vgl. dazu Reinhardt, Kirchenpolitik (Anm. 1), 241.

[4] Wolf, Bistum (Anm. 1), 16.

[5] Vgl. ABl. Rottenburg-Stuttgart 34 (1978) 493f.